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Deutschland am Wendepunkt XXVI
Klinsi und die Besserwisser


Spätestens seit dem 1-4 Debakel gegen Italien liest, hört und sieht man die "Ich hab's immer schon gewußt" Personen, die mit messerscharfer Analyse erkannt haben, daß der deutsche Fußball nicht mehr Weltspitze ist. Das geschieht allerdings nur nach verlorenen Spielen, denn bei Siegen ist ja alles dufte.
Diese Erkenntnis konnte man jedoch auch schon nach dem WM-Viertelfinal-Aus 1998 gegen Kroatien beobachten, als Berti Vogts mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt wurde. Dann folgte die grauenhafte EM 2000 (Vorrundenaus mit einem erzielten Tor) in der alles offenbart wurde, woran der deutsche Fußball krankte. Nämlich an mangelnder Jugendarbeit, verbunden mit technischen und taktischen Defiziten.
Erich Ribbeck und Uli Stielecke gingen und Christoph Daum sollte kommen, was jedoch durch sein "absolut reines Gewissen" verhindert wurde. Dann wurde aus der Übergangslösung Rudi Völler, dem lebendigen Fußballdenkmal, der feste "Teamchef", neben ihm der "charismatische" Michael Skibbe Bundestrainer.
Durch ein paar überbewertete (u.a. 4-2 gegen schlappe Spanier) Anfangserfolge und dem sensationellen Abschneiden bei der WM 2002 war Deutschland wieder wer, nur 2 Jahre nach dem subjektiven Ojektivisten Ribbeck. Der Erfolg wurde herbeigeführt durch ein Auftaktspiel bzw. -gegner nach Maß (8-0 gegen Saudi Arabien) und weiteres Los- und Spielglück, welches im Finale jedoch schon aufgebraucht war. Aufgrund der, durch die Finalteilnahme entstandendenen, Euphorie wurde wieder Vieles zugedeckt, beispielsweise die unwesentlichen Änderungen des Spielerkaders verglichen mit 2000 (Immerhin ohne Loddar).
Im taktischen Bereich war die Einführung der variablen Dreier- bzw. Viererkette ein Quantensprung. Bisher waren Modernisierungen beim Spielsystem mit dem Argument: "Modern ist was Spiele gewinnt", abgetan worden. Oder es wurde jede Neuerung totgeredet und -analysiert, wie beispielsweise die Einführung der Abwehrviererkette in die Bundesliga (Saison 93/94) durch Erich Ribbeck(!) bei Bayern München. Dieses "Experiment" scheiterte mit dem Rauswurf Ribbecks und der Chefsache von Kaiser Franz Beckenbauer, die in der Meisterschaft mündete. Danach kam übrigens Giovanni Trappatoni, aus Italien wo die Viererkette längst zum Standardrepertoire gehörte, zu Bayern. Der Libero wurde seitdem in der Bundesliga nur noch selten gesehen, teilweise spielen umsichtige Torhüter ebenselben.  Berti Vogts war es, der das mehrschultrige Trainergespann einführte und wurde der Lächerlichkeit preisgegeben. Er erntete nur Hohn und Spott + seine Entlassung. Heute hat jede Spitzenmannschaft Spezialtrainer und Sportdirektoren. Vorreiter werden wie Aufsässige behandelt. Dazu kann man auch das unselige Theater um den bisherigen Hockeybundestrainer zählen.
Daß neben der taktischen Schulung junger Spieler auch eine bessere technische gehört, ist in Deutschland nicht selbstverständlich. So wird nach dem Karriereende von Christian Ziege auf absehbare Zeit kein Linksfuß auf der linken Seite der Nationalmannschaft spielen. Das wäre auch nicht nötig, wenn es genug Spieler gäbe, die über  "Beidfüßigkeit" verfügen würden. Die kann man jedoch an einer Hand abzählen und sind daher im zentralen Mittelfeld unersetzbar.
 Die technischen Unzulänglichkeiten lassen sich auch ganz profan bei der Ballannahme beobachten. Bei einem durchschnittlichen deutschen Nationalspieler springt der Ball im günstigsten Fall 50 cm vom Fuß. Er benötigt dann eine Sekunde um ihn zu kontrollieren und weiterzuspielen. Im modernen Fußball kann man sich aber diese Sekunde nicht mehr leisten, da der Gegner dem Annehmenden dann bereits auf den Füßen steht. So wird, wie gegen Italien, jedwedes Angriffsspiel unterbunden und man ist von Standardsituationen abhängig. Auf internationaler Spitze ist so nichts zu holen.
Immerhin wurde mit der verpflichtenden und lizenzabhängigen Jugendarbeit in der Bundesliga vor Jahren ein wichtiger Schritt gegangen. Aber Jugendarbeit zahlt sich nur über Jahre bis Jahrzehnte aus. Ansätze haben wir mit etlichen 19-22jährigen in den Bundesligateams und auch in der Nationalelf bereits. Nur ist dieser Trend wohl für die WM2006 zu spät eingeleitet worden. So sind die Spieler noch nicht reif genug um international etwas zu reißen. Symptomatisch ist das Verhältnis von "Legionären" und einheimischen Kickern. Aus England: 2 Aus Italien: 0 Aus Spanien: 0 Aus Frankreich: 0. Das kann in 5 Jahren ganz anders aussehen, vielleicht schon nach der WM (Ballack).
Das alles muß man erkennen bevor man die Arbeit von Jürgen Klinsmann kritisieren kann. Er, und auch nicht Ottmar Hitzfeld, Fabio Capello, Marcello Lippi, Parreira, Jose´ Mourinho, können aus diesem Haufen Problemen in 2 Jahren eine Mannschaft formen, die garantiert eine WM gewinnt und dabei noch schönen Fußball spielt.
Dieses ganze Theater mit Florida-Deutschland, Deutschland-Florida, Wörns hin und her, Kahn-Lehmann, Lehmann-Kahn sind doch im Verhältnis lächerliche Problemchen, die nur die "BLÖD" interessieren und keinerlei Wert besitzen.
Das jedoch 3 Monate vor der WM viele "Experten" kalte Füße bekommen, ist auf ihr eigenes Versagen zurückzuführen, die richtigen Dinge zur richtigen Zeit anzusprechen. Was soll damit erreicht werden? Den Trainer zu schassen? Daß diese Debatte zu diesem Zeitpunkt ausbricht ist typisch deutsch. Wenn sich nach einer erfolgreichen WM alle in den Armen liegen, feiern und sagen das sie immer dran geglaubt hätten ist es ebenso.


EF